Michael Sommer: Ein Jahr mit der EB 29

Für mich fing Alles im August 2009 an. Auf der Deutschen Meisterschaft in Mengen machte die Nachricht die Runde, dass die Firma Binder auf Basis des EB28 edition Flügels einen Einsitzer entwickeln würde, die EB29. Unter dem Hintergrund, in Mengen genug Gelegenheit gehabt zu haben, die sehr gute Leistung der EB28 edition aus nächster Nähe zu sehen, ließ mich dies natürlich aufhorchen. Der Austausch des langen, naturgemäss voluminösen Doppelsitzerrumpfes durch einen schlanken, wiederstandsarmen Einsitzerrumpf ließ eine gegenüber den traditionellen Offene Klasse Flugzeugen überlegene Leistung erwarten.

Ende Oktober bin ich zum ersten Mal zu Besuch in Ostheim. Das Wetter ist schlecht, Fliegen ist unmöglich aber ich kann das Flugzeug aufgebaut in der Halle betrachten. Scharfer, sehr schlanker Flügel, leichte Rückpfeilung im Außenflügel mit schönen Winglets, geräumiges Cockpit. Der Flieger sieht super aus, die erste EB29 ist alles andere als ein Prototyp, Alles scheint am rechten Platz und sehr gut verarbeitet. Walter möchte die EB29 gut auf der Weltmeisterschaft 2010 in Ungarn vorstellen, ich bin auf der Suche nach einem konkurrenzfähigen Flieger für eben diese WM mit dem klaren Ziel, den dritten Titel in Folge zu erzielen...

Mitte März dann der erste Start in Ostheim. Noch mit leeren Wassertanks bekomme ich die erste Idee davon, wie die EB29 fliegt. Die Flugeigenschaften sind unproblematisch und harmonisch. Der Flieger liegt sehr stabil in der Luft, mit einem vergleichsweise steifen Flügel, der die Thermik gut spüren lässt. Die Wendigkeit ist in Anbetracht der hohen Spannweite verblüffend. Eineinhalb Wochen später bin ich schon wieder in Deutschland und wir – Walter, Petra, Uli Schwenk und ich – sind mit zwei Gespannen auf dem Weg in den Süden, nach Varese, Italien. Ich werde ausgiebig Gelegenheit bekommen, mich auf die EB29 einzufliegen und Walter und Uli werden mit der EB28 edition dabei sein.
Vier Tage fliegen wir zusammen kreuz und quer durch die Südalpen bis weit nach Südfrankreich und an das Mittelmeer. Es sind Flüge, die wir drei nicht vergessen werden. Ist man die bisherigen Flugzeuge der Offenen Klasse gewohnt, fällt die Umstellung auf die EB29 leicht. Nach der Woche Fliegen fühle ich mich sicher, auch nah am Berg - ich bin eingeflogen. Im unteren Geschwindigkeitsbereich erscheinen die beiden Flugzeuge ebenbürtig, im höheren Geschwindigkeitsbereich ist die EB29 wie erwartet im Vorteil. Walter lächelt zufrieden. Ich auch...
Mitte Mai ergibt sich noch einmal die letzte Möglichkeit für eine Woche Training vor der WM. Doch leider ist der Hahnweide Wettbewerb verregnet. Die drei Flugtage sind besser als nichts, um mal wieder in die Luft zu kommen.

Dann ist es schon so weit. Am 17. Juli lande ich um 6 Uhr früh in Frankfurt aus Shanghai kommend, meinem momentanen Wohnort. Ich nutze das gute Wetter am nächsten Tag für einen letzten Trainingsflug mit der EB29 von meinem Heimatplatz Altenbachtal aus. Ich war in Anbetracht des engen Flugplatzes mit nur 820 kg gestartet, was sich im Nachhinein als völlig unnötig herausgestellt hat. Der Motor hat Power ohne Ende und ich gehe in großer Höhe über die Bäume am Ende der Bahn. Nach gut neun Stunden und 1000 OLC Kilometern bin ich nach gut zwei Monaten fliegerischer Pause wieder eingeflogen. Der Flieger ist ein Traum.
Die Weltmeisterschaft selber ist geprägt durch für die Zeit untypisch feuchtes Wetter. Nasse Böden und feuchtwarme, thermisch müde Luftmassen erzeugen niedrige Basishöhen, teilweise Gewitterwetterlagen und frühes Thermikende. Meine Strategie ist vom ersten Wettbewerbstag an, bei den schwachen und teilweise undurchsichtigen Wetterlagen kein Risiko einzugehen, mich darauf zu konzentrieren nicht zu viel zu verlieren. Das Risiko an solchen Tagen viel zu verlieren ist viel höher als die Chance deutlich gegenüber der Konkurrenz zu gewinnen. Die Idee ist, die schlechten Tage gut zu überstehen um dann später, wenn das Wetter besser und eindeutiger wird, anzugreifen und verlorenen Boden gut zu machen.

Die überlegene Leistung der EB29 macht es mir dabei leicht. Insbesondere in engen Bärten funktioniert der Flügel mit hoher Streckung hervorragend, der Flieger liegt bei 850 kg mit 45 Grad Schräglage mit ca. 100 km/h stabil in der Luft. Die Steigleistung in diesen engen Bärten ist entsprechend deutlich überlegen. Das andere Ende des Geschwindigkeitsbandes können wir bei dieser WM leider kaum nutzen doch ist die Überlegenheit bei Geschwindigkeiten von 180 km/h und höher offensichtlich.
Mit dem nötigen Glück geht die Rechnung auf. Nach und nach verabschieden sich Favoriten mit schlechten Tagesergebnissen von der Spitze. Ich bin selber überrascht, bereits am fünften Tag – ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, bei eindeutigerem Wetter etwas aggressiver anzugreifen – die Gesamtführung zu übernehmen. Entscheidend ist der dritte Wertungstag, an dem nur sieben Teilnehmer die Aufgabe vollenden können. An den Tagen 6 und 7 ist das Wetter dann etwas eindeutiger und schneller. Ich kann meinen Vorsprung weiter ausbauen. Es kommt der letzte Flugtag, den ich bei streckenweise tiefer Basis (800 m) – das erste Mal die Sicherheit des Teamfluges mit meinen deutschen Mannschaftskameraden nutzend – mit einem Tagessieg krönen kann.

Die Freude ist unbeschreiblich! Ich bin froh, dass ich es noch einmal geschafft habe. Ich bin noch einmal mehr froh, dass die Rechnung der Familie Binder aufgegangen ist, dass es mir möglich war, die Überlegenheit der EB29 zu demonstrieren. Denn dies ist für mich die eigentliche Leistung, die Leistung der Firma Binder. Der Weg der letzten Jahrzehnte dieser kleinen Truppe vom Motorsystemspezialist zum Hersteller des wohl momentan besten Segelflugzeugs der Welt ist überaus außergewöhnlich.
Ich kann den Binder Verantwortlichen nur aus vollem Herzen zu ihrer Zielstrebigkeit, Hartnäckigkeit und zum bedingungslosen Willen gratulieren. Der Erfolg ist für Euch! Ich bin froh, dass ich Teil des Unternehmens 'Binder WM' sein durfte. Vielen Dank!


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